Kraft der Sprache im Ess-Alltag mit Kindern
Worte wirken, haben Kraft, egal ob wir sie hören oder lesen: Sie können beispielsweise ermutigen, Freude verbreiten, jedoch auch traurig oder wütend machen.
Wir brauchen und gebrauchen sie tagtäglich in vielerlei Situationen sowohl im beruflichen als auch im privaten Kontext. Sprache dient zunächst einmal dem Austausch und der Weitergabe von Informationen, kann aber noch weitaus mehr.
Warum bewusste und wertschätzende Kommunikation im Ess-Alltag wichtig ist erfahren wir im Gespräch mit Eva Zovko, Leiterin des Bundeszentrums für Ernährung (BZfE).
1. Oftmals wird in den Medien ganz allgemein von „gesunder Ernährung“ als das Nonplusultra gesprochen. Doch was heißt eigentlich „gesund“ und was hat der Begriff „Ernährung“ mit unserem täglichen Essen und Trinken zu tun?
Wenn wir über Ernährung sprechen, dauert es meist nicht sehr lange und wir benutzen die Worte „gesund“ oder „ungesund“. Die Frage ist aber doch, wie sieht eine gesunde Ernährung pauschal aus, und wie fühlt sich „gesund“ oder „ungesund“ für jeden einzelnen an?
Hier möchte ich kurz auf die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingehen. Diese definiert „Gesundheit“ wie folgt: „Gesundheit ist ein Zustand des völligen psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen.“
Vor dem Hintergrund dieser Begriffsdefinition kann es fachlich nicht korrekt sein, Kindern pauschal eine allgemeine Empfehlung wie „Brokkoli ist gesund!“ zu geben. Was bringt es einem Kind, wenn es keinen Brokkoli kennt oder mag? Oder wenn die Familie diese Empfehlung nicht unterstützt? Dass Brokkoli gesundheitsförderlich ist, steht außer Frage. Aber das Argument „gesund“ bringt wenig, um Kinder auf den Geschmack zu bringen. Manchmal stoßen diese Begriffe bei Kindern sogar auf Ablehnung: „Was gesund ist, schmeckt sowieso nicht!“.
Es empfiehlt sich also, Begriffe wie „gesund“, „ungesund“ oder „gesunde Ernährung“ im alltäglichen Umgang zu vermeiden, denn sie stehen einer modernen genussorientierten Ernährungsbildung im Wege.
Ebenso ist „Ernährung“ eher abstrakt und kein verständlicher, greifbarer Begriff in der Betreuungseinrichtung und im Umgang mit Kindern. Worte wie „Essen und Trinken“ machen dieses Thema für die Kinder anschaulicher und passen in deren Alltag. „Essen und Trinken“ wird als etwas Positives, Genussvolles wahrgenommen. Sprechen Sie also nicht von Ernährung, wenn Sie Essen und Trinken meinen. Ernährung ist ein Expertenthema, im Alltag tun wir vor allem eines: essen und trinken.
In der Praxis ist es das Ziel, die Kinder zu befähigen, sich ein gesundheitsförderliches Essverhalten anzueignen. Dies geschieht über Vorbildverhalten, die Weitergabe von Wissen und das gemeinsame Erleben, also die Teilhabe der Kinder an den Entscheidungen rund um Essen und Trinken in der Betreuungseinrichtung.
2. Die Wortwahl ist also entscheidend! Gibt es aus Ihrer Sicht weitere Wörter, die im Betreuungsalltag bezüglich der Essenssituation vermieden werden sollten? Welche sind stattdessen eher geeignet, dass Kinder ein ausgewogenes Essverhalten entwickeln?
Begriffe wie „richtig“ oder „falsch“ sind nicht empfehlenswert, sie sind wertend und berücksichtigen nicht die individuellen Esskulturen. Versuchen Sie insgesamt keine Lebensmittel be- oder abzuwerten wie z. B: „Du hast schon wieder ungesundes Weißbrot dabei!“ Thematisieren Sie stattdessen die Lebensmittelvielfalt. Und bringen Sie Kinder mit Sinnesübungen und Verkostungen auf den Geschmack von frischem Gemüse und Obst, Vollkornbrot oder Milchprodukten.
Vermeiden Sie auch Begriffe wie „sollen“ oder „müssen“. Insgesamt geht es um eine wertschätzende Grundhaltung der pädagogischen Fachkraft gegenüber den Kindern: Das Kind ist Experte für sich und seinen Körper. Deswegen ist es besser, Sätze rund um „Iss bitte deinen Teller leer“ zu vermeiden. Auch ein gutgemeinter „Probierhappen“ kann in diesen Bereich fallen. Kinder zu motivieren, die Vielfalt der Lebensmittel zu erleben, darf nicht zu einem Zwang in diese Richtung führen. Essen als Belohnung oder Strafe zu nutzen, ist kontraproduktiv. Das gilt für Sätze wie „Wenn Du Deinen Spinat isst, bekommst Du einen leckeren Nachtisch“ oder „Nur wer aufgegessen hat, darf in die Malecke“.
Um Kinder dabei zu unterstützen, ein gesundheitsförderliches Essverhalten zu entwickeln, sind authentische Vorbilder wichtig. Gerade pädagogische Fachkräfte und Kindertagespflegepersonen, die Kinder beim Essen begleiten, haben in dieser Rolle eine besondere Verantwortung. Auch möglicherweise scherzhaft gemeinte Sätze wie: „Salat ist mir zu gesund“, „Fleisch ist mein Gemüse“ wirken ungünstig. Wenn Kinder hingegen sehen, dass Erwachsene eine positive Einstellung zu einer ausgewogenen Ernährung haben, werden sie eher dazu motiviert, es ihnen gleichzutun.
3. Was genau ist in diesem Zusammenhang mit wertschätzender Ernährungskommunikation gemeint?
Eine wertschätzende Kommunikation mit den Kindern über die Speisen und Lebensmittel ist hilfreich, um Kindern ein gesundheitsförderliches Essverhalten näher zu bringen. Wie entsteht unser Essen? Wie sehen die Lebensmittel in ihrer Ursprungsform aus? Auch kann es helfen mit den Kindern darüber zu sprechen, was sie in einer neuen, fremden Speise denn schon kennen. Sind es vielleicht die Erbsen oder Möhren in der bunten Gemüsesuppe? So wird Fremdes vertrauter.
Im konkreten Bezug auf die Ernährungskommunikation heißt dies, dass keine Lebensmittel per sé als „schlecht“ bezeichnet werden. Es geht grundsätzlich vielmehr um eine positive Kommunikation. Wenn wir als Erwachsene faire Ernährungsumgebungen schaffen und wertneutral über Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Eignung von Lebensmitteln und Speisen sprechen, dann können die Kleinsten in unserer Gesellschaft ihre eigene Essbiographie so ausgestalten, dass sie zu einer gesundheitsförderlichen Ernährungsweise auch im Erwachsenenalter führt.
4. Welche Rolle bei der Entwicklung von Ernährungskompetenzen der Kinder spielt dabei das lobende Vorbild? Genauer gefragt, kann zu häufiges und unspezifisches Loben diesbezüglich kontraproduktiv sein?
Viele von uns werden gerne gelobt. Es ist tatsächlich die Frage, wofür man gelobt wird. Den Teller leer zu essen – dafür ist man früher gelobt worden. Das ist nicht mehr zeitgemäß, denn vielleicht habe ich meinen Teller leer gegessen, aber ich hatte eigentlich schon ab der Hälfte keinen Hunger mehr. Dann hätte ich also lediglich aufgegessen, um gelobt zu werden, aber habe meinem Körper damit nichts Gutes getan. Es wäre also gesundheitsförderlicher, mich dafür nicht zu loben. Ernährungskompetent zu sein heißt auch, meine Körpersignale zu erkennen und danach zu handeln. Dies kann ich lernen über authentische Vorbilder und Teilhabe. Wenn schon mit den Kleinsten darüber gesprochen wird bzw. sie sich die Speisen selber auf ihre Teller füllen können, dann werden gute Weichen dafür gelegt. Dann kann auch gut gelobt werden, quasi begleitend zu den kleinen Schritten zur Ernährungskompetenz. Lob ist in jedem Fall positiv beim Mithelfen, Schnippeln, Rühren, Dekorieren, Tisch decken, Umgang mit Besteck, Aufräumen und vielem mehr.
5. Eine früher oft und auch heute noch gebräuchliche Redewendung am Esstisch lautet: „Iss bitte auf, damit morgen die Sonne wieder scheint“. Woher kommt dieses geflügelte Wort eigentlich, und ist es noch zeitgemäß?
Diese Redewendung wurde früher gerne genutzt, um Kinder zum Weiteressen zu motivieren. Tatsächlich beruht die Redensart auf einer falsch verstandenen plattdeutschen Formulierung: „Et dien Töller leddig, dann givt dat morgen goods wedder.“ Daraus wurde im Hochdeutschen der Ausdruck „Iss deinen Teller leer, dann gibt das morgen gutes Wetter“.“Wedder“ heißt allerdings nicht „Wetter“, sondern „wieder“. Daher ist die korrekte Übersetzung des Sprichwortes eigentlich: „Iss deinen Teller leer, dann gibt es auch morgen wieder etwas Gutes.“
Diese Redewendung zeigt den gesellschaftlichen Wandel und dabei auch den Wandel in der Ernährungskommunikation. Es ist weniger ein zeitgemäßer Umgang, als vielmehr eine Möglichkeit mit den Kindern ins Gespräch zu kommen: Warum hat man früher darauf Wert gelegt? Was wären Alternativen gewesen und wieso waren die damals vielleicht nicht möglich? Wie wird heute rund um Essen und Trinken kommuniziert?
6. Welches Ziel verfolgt moderne Ernährungsbildung in der Kindertagesbetreuung und wie kann dies erreicht werden?
Ernährungsbildung in der Kindertagesbetreuung verfolgt das Ziel, Kinder dazu zu befähigen, ihre eigene Essbiographie ernährungskompetent zu gestalten: Essen und Trinken mit allen Sinnen erleben, dies vor allem in Bezug auf die Lebensmittelvielfalt. Nur wer Lebensmittel kennt und weiß, wie sie schmecken, riechen, sich anfühlen, aussehen, kann für sich entscheiden, wie diese in das individuelle Ernährungsmuster eingebunden werden können. Der Austausch mit den Kindern, wie sich Hunger, Sättigung, Durst, Appetit anfühlen, kann dabei unterstützen, dass sie sich als Expertinnen und Experten für ihren eigenen Körper sehen und lernen, sicherer darin werden, dies auch zu kommunizieren.
Kinder sind voller Fragen und wunderbarer Ideen, die sehr schöne Impulse auch im Essalltag der Kindertagesbetreuung setzen können. Sie sind wissbegierig und machen gerne mit, gerade bei Themen rund um die Gestaltung von Mahlzeiten. Aber auch das freie Spiel der Kinder birgt viel Potenzial für Aktivitäten und Gespräche rund um Essen und Trinken und ist somit Teil der Ernährungsbildung.
7. Wo finden Fachkräfte beim BZfE Informationen und Unterstützungsmaterialien rund um das Thema?
Fachkräfte finden auf der Website des BZfE Informationen rund ums Essen und Trinken – aber auch Materialien und Medien speziell zu Ernährungsbildung in der Kindertagesbetreuung.
Wer Fragen zur Verpflegung in der Gemeinschaftsverpflegung hat, der wird auf der Website des Nationalen Qualitätszentrums für Ernährung in Kita und Schule (NQZ) fündig.
Antworten zur Ernährungsweise von Kleinkindern hat das Netzwerk Gesund ins Leben zusammengestellt.