Unverträglichkeiten in der Kindertagesbetreuung
Nachgefragt bei Sonja Lämmel vom Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB) und Eberhard Ziegler von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).
In der Kindertagesbetreuung stehen Mitarbeitende einer Kita und Kindertagespflegepersonen über kurz oder lang vor der Aufgabe, Kinder mit einer bestehenden Allergie oder Unverträglichkeit zu betreuen. (Laut einer Erhebung der Vernetzungsstelle Kitaverpflegung sind 4 Prozent der in niedersächsischen Kitas betreuten Kinder von einer Unverträglichkeit betroffen.) Was es dabei zu beachten gilt und wie die Betreuungszeit für alle Beteiligten gelingen kann, haben wir beim DAAB erfragt – Mitarbeiterin Sonja Lämmel (Diplom-Oecotrophologin) hat geantwortet. Ergänzt werden ihre Antworten an zwei Stellen durch Aussagen eines Experten der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Herrn Eberhard Ziegler.
1. Allergien, Unverträglichkeiten und Sensitivitäten – Welche kommen typischerweise bei Kita-Kindern vor und wie können sie zueinander abgegrenzt werden?
Erstmal sollten wir hier Begrifflichkeiten klären. Jede unerwünschte Reaktion auf ein Lebensmittel ist erstmal eine Unverträglichkeit. Je nachdem was im Körper passiert (Pathomechanismus) sprechen wir dann von einer echten Allergie, bei der das Immunsystem auf einen eigentlich harmlosen Stoff überreagiert, z. B. auf Milch oder Schalenfrüchte (Nüsse), von einem Enzymmangel wie bei der Laktose-Unverträglichkeit oder von einem Essfehler, wie bei der Fruktose-Unverträglichkeit. Sowohl bei der Laktose- als auch der Fruktose-Unverträglichkeit ist das Immunsystem nicht beteiligt. Zudem kommt die Zöliakie, eine Entzündungsreaktion im Darm, vor. Pseudoallergien – vermutlich durch künstliche und natürliche Lebensmittelinhaltsstoffe wie Zusatzstoffe ausgelöst – oder die Histamin-Unverträglichkeit sind im Kindesalter sehr, sehr selten.
Die Beschwerden sind sehr unterschiedlich, je nachdem welche Unverträglichkeit vorliegt. Während Allergien sich am ganzen Körper, in Form von Haut-, Atem-, Darm- oder Kreislaufbeschwerden von sofort nach Allergenkontakt bis zu 72 Stunden später zeigen können, sind Reaktionen der Laktose-Unverträglichkeit auf den Magen-Darm-Trakt begrenzt und z. B. abhängig von der aufgenommenen Laktose-Menge und der Zusammensetzung der restlichen Mahlzeit.
2. Wenn Symptome auftauchen: Wie und wo sind Allergie-Experten für eine gesicherte Diagnose und gute Therapie zu finden?
Die Betreuung von Kindern mit Unverträglichkeiten stellt alle Beteiligten vor eine Herausforderung, die es gilt, anzunehmen, damit die Kindert integriert und nicht ausgeschlossen werden. Durch eine gute Vorbereitung und Kommunikation ist dies möglich. Das zeigen viele positive Beispiele. Voraussetzung für eine gute Betreuung ist eine eindeutige Diagnose der Unverträglichkeit. Diese sollte in Zusammenarbeit mit der Kinderärztin/ dem Kinderarzt und einer Ernährungsfachkraft gestellt werden. Die Ärztin/ der Arzt führt entsprechende Untersuchungen durch, und die Ernährungsfachkraft bespricht mit den Eltern die Ernährungsumstellung. Je konkreter die Empfehlungen sind, desto einfacher sind sie für die Eltern und die Mitarbeitenden im Betreuungsalltag umzusetzen. Die Therapieempfehlungen müssen schriftlich festgehalten werden. Manche Allergien wie die Kuhmilch-Eiweiß-Allergie und die Hühnerei-Eiweiß-Allergie können sich im Kindesalter verwachsen, sodass eine Therapie nicht immer lebenslang notwendig ist.
Allergologisch versierte Ärztinnen/ Ärzte und Ernährungsfachkräfte sind beispielsweise im Allergie-Wegweiser gelistet.
Auch andere Fachgesellschaftern vermitteln geeignete Beratungskräfte mit allergologischem Schwerpunkt – z. B.:
Institut für Qualitätssicherung in der Ernährungsberatung (Quetheb)
Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE)
Berufsverband Oecotrophologie (VDOE)
Arbeitskreis Diätetik in der Allergologie (ak-dida)
Verband der Diätassistenten (VDD)
3. Warum ist ein Attest zu empfehlen – besonders für die Kindertagesbetreuung?
Ein Attest, eine fachmedizinische Diagnose, schafft Sicherheit. Alle Therapieempfehlungen müssen schriftlich festgehalten werden und der Kita bzw. Kindertagespflegeperson am besten ab dem Aufnahmegespräch bzw. zeitnah nach Diagnosestellung vorliegen. Dies gilt sowohl für die Ernährungsempfehlungen, wie auch für die Medikamentengabe. Für beides gibt es Formblätter, Checklisten und Notfallpläne, die beim DAAB bestellt werden können. Diese Formulare müssen jährlich aktualisiert werden und geben allen Beteiligten die Sicherheit, richtig zu handeln.
Die Verteilung von Zuständigkeiten, wer für was verantwortlich ist, bringt zusätzlich Struktur in das Handeln. Zum Beispiel ist es Aufgabe der Eltern, die Kita oder Kindertagespflegestelle über die Unverträglichkeit und die entsprechenden Empfehlungen zu informieren, das Notfall-Set mit den passenden Handlungsanweisungen vorzulegen und darauf zu achten, dass die Medikamente aktuell und nicht abgelaufen sind. Das Betreuungspersonal hingegen ist dafür verantwortlich, die Empfehlungen umzusetzen, alle Mitarbeitenden zu informieren und das Notfall-Set und die Informationen zum Handeln für die Erste-Hilfe-Maßnahme für alle Beteiligten bereitzustellen. Diese Zuständigkeiten sollten schriftlich festgelegt werden und geben eine zusätzliche Sicherheit.
4. Wie können Allergiker-Kinder verpflegt werden, wenn weder Kita-Küche noch Caterer ein allergenfreies Essen leisten kann?
Die Therapie einer Unverträglichkeit besteht im Vermeiden des Auslösers. Das bedeutet, dass bestimmte Lebensmittel aus der Ernährung gestrichen und ersetzt werden müssen. Damit die Lebensmittelauswahl nicht mehr als nötig eingeschränkt wird, sind eine fachmedizinische Diagnose sowie konkrete Therapieempfehlungen so wichtig. Unserer Erfahrung nach haben sich Caterer mittlerweile gut auf Kinder mit Unverträglichkeiten eingestellt. Es gibt gute Alternativen für zum Beispiel Milch oder Ei. Empfehlenswert sind so genannte Positivlisten, die von den Eltern erstellt werden sollten und mit der Kindertagesbetreuung besprochen werden. Was kann anstelle von Milch, Ei oder Weizenmehl benutzt werden und wo kann der Auslöser der Unverträglichkeit vorkommen?
Sogenannte Steckbriefe werden in der Ernährungstherapie mit den Eltern erarbeitet und können an die Kita und Kindertagespflegestelle weitergegeben werden. Im Gespräch zwischen Betreuungs- und Küchenkräften, Eltern und Ernährungsfachkraft können Lösungen und Wege gefunden werden, damit Kinder bei der Verpflegung integriert werden können – auch ein von den Eltern mitgegebenes Essen ist denkbar. Schulungen speziell für das Kitapersonal können hier helfen, Hürden abzubauen und mehr Sicherheit zu dem Thema zu vermitteln.
5. Wie können Feste hinsichtlich Allergiker-Kindern geschickt gefeiert werden, zu denen Erziehungsberechtigte Essen für die Gemeinschaft mitbringen?
Die Feier von Festen, bei denen Eltern Essen für die Gemeinschaft mitbringen, erfordert besondere Aufmerksamkeit für allergische Kinder. Zunächst ist Kommunikation entscheidend. Die Eltern nicht betroffener Kinder sollten im Voraus über das Vorkommen von Allergien informiert und gebeten werden, nur allergenfreie Speisen und Speisekomponenten zuzubereiten. Es ist ratsam, Alternativen aufzuzeigen. Zum Beispiel Eiersatz statt Ei im Kuchen. Eine Liste mit den individuellen Auslösern des oder der betroffenen Kinder kann helfen.
Aus Sicht betroffener Kinder und ihrer Eltern wäre es wünschenswert, wenn am Festtag selbst mitgebrachte Speisen klar mit enthaltenen Allergenen beschriftet sind. Getrennte Tische für allergenfreie und nicht-allergenfreie Lebensmittel können zudem helfen, Kreuzkontamination zu vermeiden. Die Speisen können auch auf unterschiedlich farbigen Tellern angerichtet werden. Schließlich sollte ein offener Dialog zwischen Eltern und Kindertagesbetreuung gepflegt werden, um die Sicherheit aller Kinder zu gewährleisten. Eine gesetzlich verpflichtende Kennzeichnung gibt es bei solchen Festen nicht, da die Eltern kein Lebensmittel-produzierendes Unternehmen sind. Hier kann nur auf Freiwilligkeit gesetzt werden.
6. Wo findet pädagogisches und hauswirtschaftliches Personal Unterstützung rund um den Umgang und die Verpflegung von Allergiker-Kindern?
Lämmel:
Speziell für die Unterstützung rund um den Umgang und die Verpflegung von Allergiker-Kindern bieten Ernährungsfachkräfte oder Mitarbeitende aus Kinderarztpraxen Schulungen zu dem Thema an. Diese können online oder auch in Präsenz durchgeführt werden. Der Deutsche Allergie- und Asthmabund vermittelt gerne entsprechende Ansprechpersonen. Ebenfalls vom DAAB wird ein Online-Lerntool angeboten. Als Mitglied kann dies kostenfrei benutzt werden. Checklisten, Infoblätter und Infos für den Notfall können ebenfalls dort bestellt werden.
Ziegler:
Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) gibt ein Handbuch zur Ersten Hilfe in Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder heraus, das in den Einrichtungen bekannt sein sollte, da es für zahlreiche Situationen Tipps und Ratschläge bereit hält. Darin findet sich ein separates Kapitel zur Hilfe bei schwerer allergischer Reaktion (S. 56). Dort steht im Infokasten ganz eindeutig: „Die Gabe von mitgeführten Notfallmedikamenten stellt eine Erste-Hilfe-Leistung dar und kann Leben retten. Die Notfallsets sind für Laien gemacht und einfach zu handhaben. Eine Falschdosierung ist ausgeschlossen". Dieses Handbuch kann kostenfrei heruntergeladen werden. Auch wenn Notfallsets für Laien gemacht sind und daher die Bedienung einfach ist, sollte man klare Absprachen treffen und sich mit der Handhabung vertraut machen, um in der Aufregung des Ernstfalls ohne größere Verzögerung handeln zu können. Denn dies ist für diesen speziellen Notfall der größte Vorteil: Man kann darauf gut vorbereitet sein und hat Hilfsmittel und Medikamente zur Hand, die genau für dieses Kind, genau für diese Situation ärztlich verordnet worden sind.
7. Eine Frage der Haftung: Was muss Kindertagesbetreuung wissen und beachten, bzw. wie sind sowohl Mitarbeitende als auch betroffene Kinder abgesichert?
Lämmel:
Eine anaphylaktische Reaktion (schwere, allergische Reaktion) ist als Notfall einzustufen. Sie erfordert schnelles Handeln, durch das im Ernstfall lebensbedrohliche Situationen abgewendet werden können. Häufig bestehen jedoch Unsicherheiten bezüglich Fragen des Versicherungsschutzes und der Haftung.
So viel vorab: Die Gabe der Notfallmedikamente fällt unter das Thema „Erste Hilfe“. Falls etwas passiert, sind die Mitarbeitenden in der Kindertagesbetreuung über die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert. Spezielle Fragen und weitere Aspekte zum Thema „Rechtliche Bewertung der Hilfe bei anaphylaktischen Reaktionen in Kindertagesstätten und Schulen“ können ebenfalls in Schulungen beantwortet werden. Zum einen gibt es die Möglichkeit, das Personal in der Kindertagesbetreuung durch eine Ärztin/ einen Arzt oder Anaphylaxietrainer/in schulen zu lassen oder ein Web-Seminar zu besuchen, dass auch in die Räume der Kindertagesbetreuung gestreamt werden kann. Diese Infos bauen Ängste ab und bringen Sicherheit im Umgang mit Allergien und Anaphylaxie. Denn: Jedes Handeln ist besser als nicht zu handeln.
Ziegler:
In einem Notfall – eine anaphylaktische Reaktion stellt einen solchen Notfall dar – ist eine Nothelferin/ ein Nothelfer bei dieser Hilfe versichert, auch wenn kein Beschäftigungsverhältnis vorliegt. Dies würde z. B. für ein Elternteil eines anderen Kindes, das zufällig in der Kita anwesend ist, gelten.
Ganz allgemein sind Betreuungskräfte in der Kita als Beschäftigte versicherte Personen in der gesetzlichen Unfallversicherung. Sollte ihnen im Rahmen ihrer Aufgaben in der Kita, das heißt also infolge ihrer versicherten Tätigkeit in der Kita, ein Unfall zustoßen, handelt es sich um einen Arbeitsunfall. Zu ihren Aufgaben gehört natürlich auch, drohenden Schaden von den ihnen anvertrauten Kindern abzuwenden. Sollten sie dabei selbst einen Unfall erleiden, handelt es sich somit um einen Arbeitsunfall unabhängig davon, ob sich der Unfall auf dem Weg zum Kind oder direkt bei der Hilfe für das Kind ereignet.
Vielfach ist es jedoch nicht die Sorge, selbst zu verunglücken, sondern vielmehr die Angst, etwas falsch zu machen und dann möglicherweise dafür auch haftbar gemacht zu werden, die insbesondere im Vorfeld zum Hemmschuh wird.
Aber man sollte immer daran denken, dass Alles besser ist, als Nichts zu tun. In diesem Zusammenhang muss zur Vollständigkeit darauf verwiesen werden, dass alle Personen bei einem Notfall zur Hilfe verpflichtet sind und man sich unter Umständen durch Nichtstun der unterlassenen Hilfeleistung schuldig macht. Immerhin hat der Gesetzgeber das Dilemma potenzieller Helferinnen und Helfer erkannt und sie weitgehend von der Haftung für ihre auf die Rettung der in Not geratenen Personen gerichteten Handlungen freigestellt, wenn dadurch – was in diesem Fall, wie zuvor dargelegt, nicht zu erwarten ist – ein (zusätzlicher) Schaden verursacht werden sollte.
Für Kitakinder (Gleiches gilt bei Betreuung der Kinder durch geeignete Tagespflegepersonen) ist die Betreuung in der Einrichtung deren versicherte Tätigkeit. Aufgrund ihres Alters und der noch nicht vorhandenen Einsichtsfähigkeit können die Kinder ihren Besuch der Einrichtung nicht selbständig beenden, und es sind bei ihnen, im Gegensatz zu älteren Schülern oder gar Erwachsenen, keine privaten und daher unversicherten Tätigkeiten vorstellbar. Insbesondere zählt für die Kinder in Kindergarten und Kindertagesbetreuung die Essenseinnahme während der Betreuungszeit zur versicherten Tätigkeit. Nimmt dabei ein Kind ein Allergen auf und es kommt zu einer entsprechenden Reaktion sind die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls erfüllt, denn die Essenseinnahme ist eine versicherte Tätigkeit, die Aufnahme des Allergens stellt eine äußere Einwirkung dar, die letztlich einen Gesundheitsschaden verursacht. Eine einzige Ausnahme besteht dann, wenn das auslösende Allergen nachweislich in einem Nahrungsmittel enthalten war, das dem Kind von seinen Erziehungsberechtigten mitgegeben wurde.