Selbstbestimmung

Übersicht

Kindertagespflegepersonen haben den Auftrag, Kinder bei der Entwicklung hin zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern. Die Mit- und Selbstbestimmung der Kinder ist ihr gutes Recht, in das sie, begleitet und geleitet durch Erwachsene, alters- und entwicklungsentsprechend hineinwachsen – auch am und rund um den Esstisch.

Auf einen Blick

  • Das Interesse der Kinder an Eigenständigkeit rund um Essen und Trinken sollte gezielt von der Kindertagespflegeperson gefördert werden.
  • Kinder essen und probieren, wovon und wie viel sie möchten. Ihnen sollte neben bekannten Komponenten ein ansprechendes und wiederkehrendes Angebot unbekannter Speisen gemacht werden, dass sie in ihrem Tempo und mit motivierender Begleitung kennenlernen können.
  • Altersentsprechend können Kinder in die Speiseplanung einbezogen werden.

Im Gespräch mit Kindertagespflegepersonen

Die Betreuungszeit wird von Kindertagespflegepersonen so gestaltet, dass sie Kindern einen sicheren Rahmen bietet, in dem sie sich alters- und entwicklungsentsprechend bewegen und ausprobieren können. Sobald Kinder Interesse am eigenständigen Essen zeigen, sollten sie dahingehend gefördert werden. Kindertagespflegepersonen stellen ein Mahlzeitenangebot bereit, motivieren und bieten Unterstützung an. Kinder entscheiden je nach Alter und Reife selbst, ob sie sich am Angebot bedienen, wie viel und wovon sie essen oder probieren möchten. Mit zunehmendem Alter können Kinder Wünsche bei der Speiseplanung einbringen und zum Essen befragt werden. Das kann die Zufriedenheit und Akzeptanz erhöhen.

Im Gespräch mit Erziehungsberechtigten

Die Selbst- und Mitbestimmung der Kinder beim Thema Essen und Trinken sollte im Rahmen von Ritualen wie zum Beispiel Händewaschen vor dem Essen gefördert werden. Das Speisenangebot wird von Kindertagespflegepersonen gesundheitsfördernd zusammengestellt und kann – je nach Alter der kleinen Tischgäste – Kinderwünsche aufgreifen. Kinder entscheiden zunehmend selbst, ob, was und wie viel sie aus dem Angebot essen oder probieren. Kindertagespflegepersonen schaffen eine entspannte und motivierende Atmosphäre, damit Kinder in ihrem Tempo von sich aus unbekannte und bekannte Lebensmittel und Speisen immer wieder kennen- und mögen lernen.

Ausführliche Informationen

(1) Vom Gefüttert-werden zum eigenständigen Essen

Meist werden Kinder erst ab Vollendung des ersten Lebensjahres betreut, in Einzelfällen sind es Säuglinge, die noch gefüttert werden.

Gefüttert-werden | Etwa ab dem achten Lebensmonat entwickeln Kinder Interesse am eigenständigen Essen. Zuvor werden Kinder vom Schoß der Betreuungsperson aus gefüttert (siehe BegleitungEssatmosphäre). Das Kind sollte eine gute Stützposition für Kopf und Füße haben und bequem im Arm der Kindertagespflegeperson liegen. Währenddessen sollte es ihm möglich sein, nach der Milchflasche zu greifen. Auf die Milchmahlzeiten folgen altersgemäß Breimahlzeiten, deren Einnahme sich mit der zunehmenden Fähigkeit des Kindes zu sitzen vom Schoß der Bezugsperson weg orientiert. Den ersten Brei nehmen Kinder in der Regel im Elternhaus ein.

Wenn das Interesse am eigenständigen Essen wächst und das Kind den Löffel selbst führen möchte, sollte es gefördert werden. Ab hier kann ein zweiter Löffel dazukommen, sodass Kindertagespflegepersonen das Kind weiter mit einem Löffel füttern können, es aber gleichzeitig eigene Erfahrungen mit Besteck sammeln kann. Unterstützung beim Essen bietet die Kindertagespflegeperson von unten, sodass das Kind die eigentliche Bewegung ausführt. Ob Löffel, Gabel und Messer mit der rechten oder linken Hand benutzt werden, bleibt dem Kind überlassen.

Speisen selbst nehmen | Kinder werden beim gemeinsamen Essen am Esstisch weiter gefördert, indem sie sich Speisen selbst auf ihren Teller auftun dürfen. Dafür sollte sowohl geeignetes Geschirr als auch Vorlegebesteck wie Kelle oder Löffel bereitstehen (siehe Essatmosphäre).

Selbstbestimmung | Kindertagespflegepersonen sollten als Vorbilder eine motivierende Haltung zum Essen einnehmen. Das kann zum Beispiel durch genussvolle Geräusche, wie Schmatzen, oder Lautmalerei („Mhm, das schmeckt gut!“) gelingen. Des Weiteren können ältere Kinder auf den Duft, die Farbe und andere speisenbezogene Dinge aufmerksam gemacht werden.

Bildungsanlässe | Wenn im Spiel Sandkuchen gebacken, ein Restaurant besucht oder im Kaufmannsladen eingekauft wird, ahmen Kinder reale Situationen nach. Der eigenständige Umgang mit Utensilien, zum Beispiel beim Schütten von Wasser von Becher zu Becher, wird trainiert. Es ist empfehlenswert, schon früh solche Bildungsanlässe zu schaffen (siehe Bildungsanlass).

(2) (Neue) Speisen und Lebensmittel probieren

Sinneserfahrung | In der außerfamiliären Betreuung liegt die Chance, Kindern neue, unbekannte Lebensmittel und Speisen anzubieten, sodass sie im eigenen Tempo entdeckt werden können, beispielsweise spielerisch mit allen Sinnen.

Ab dem zweiten Lebensjahr orientieren sich Kinder verstärkt daran, was ihre Bezugspersonen und andere Kinder essen. Entsprechend werden in Gemeinschaft verzehrte Lebensmittel eher probiert. Ältere Kinder können der Kindertagespflegeperson beschreiben, wie ein Radieschen aussieht, wie es riecht und sich anfühlt. Darauf können ganz nebenbei Fragen zur Textur im Mund, dem Geschmack und so weiter folgen. Ein langsames Herantasten an ein Lebensmittel kann auch damit beginnen, dass es im selben Raum liegt und vom Kind wahrgenommen wird. Die Annäherung an den Teller des Kindes erfolgt langsam, und es ist möglich, das Lebensmittel Stück für Stück kennenzulernen, bevor es zum Mund geführt wird.

Neophobie | Bevor Lebensmittel probiert werden, können sie mehrfach, durchaus bis zu zehnmal, abgelehnt werden. Besonders im Zeitfenster vom 18. bis zum 24. Lebensmonat sowie im vierten Lebensjahr sind Kinder oftmals wählerisch und stehen unbekannten Lebensmitteln skeptisch oder sogar ängstlich gegenüber. Diese als Neophobie bezeichnete Verhaltensweise ist kulturübergreifend beobachtbar und wird als Schutzmechanismus verstanden. Denn Kinder überprüfen die Genießbarkeit von Lebensmitteln und spucken sie unter Umständen wieder aus. Hier braucht es Geduld und Zeit und ein wiederkehrendes Angebot, um schließlich akzeptiert zu werden.

(3) Essenswünsche und Feedbacksystem

Ab einem Alter von etwa drei Jahren können Kinder bei der Gestaltung des Wochenspeiseplans einbezogen werden. Dies erhöht die Identifikation mit der Gruppe. Zudem lernen sie, sich für eigene Interessen und die anderer einzusetzen und erfahren, dass jede/r einmal mit seinem Essenswunsch drankommt. Das vermittelt den Kindern, dass sie von den erwachsenen Bezugspersonen als Individuen wahr- und ernstgenommen werden (siehe Partizipation). Daraus kann sich ein tieferes Vertrauensverhältnis zur Kindertagespflegeperson ergeben. Der Umgang mit Wunschgerichten kann flexibel gestaltet und zum Beispiel einmal pro Woche erfüllt werden. Es kann helfen, Kindern zunächst über Bilder von bereits bekannten Speisen eine Vorauswahl anzubieten, aus der sie wählen können. Dadurch fällt jüngeren Kindern die Wahl leichter, und im Sinne der Verhältnisprävention kann die Kindertagespflegeperson eine geeignete Palette an Angeboten zusammenstellen. Einseitigen Wünschen nach zum Beispiel Nudeln kann so Einhalt geboten werden. Weitere Akzeptanz erfahren Mahlzeiten oft, wenn Kinder in ihre Zubereitung mit einbezogen werden (siehe Regeln und Rituale).

Feedback | Kindertagespflegepersonen können die Reaktionen ihrer jüngeren Tischgäste auf Gerichte einschätzen. Es sind Zeichen wie das Leeressen eines Tellers, die Frage nach einem Nachschlag oder Speisereste auf dem Teller. Manchmal hat die Essensmenge weniger damit zu tun, ob ein Essen geschmeckt hat; vielmehr ist sie Kompass für individuelle Stimmungen, Atmosphäre und Entwicklungsschübe.

Bei älteren Betreuungskindern kann aktiv gefragt werden, wie es geschmeckt hat. Für jüngere Kinder, die sich sprachlich noch nicht so gut ausdrücken können, ist z. B. ein dreistufiges Smiley-System hilfreich. Kinder könnten nach dem Essen auf einen Smiley tippen, um ihre Rückmeldung zu den Speisen zu geben. Beachten sollten Kindertagespflegepersonen bei der Auswertung der Ergebnisse, ob ein Gericht für die Kinder neu oder bereits etabliert und bekannt ist. Tipp: Nach der Zufriedenheit zu fragen ergibt nur dann Sinn, wenn bei einem unzufriedenstellenden Ergebnis die Kindertagespflegeperson gewillt und offen für Veränderung ist. Vielleicht sorgt bereits eine andere Rezeptur, Zubereitungsart oder Konsistenz eines Lebensmittels für Abhilfe. Gleichzeitig muss klar sein, dass nicht alle Kinder immer oder beispielsweise an jedem Tag jedes Gericht mögen. Mit Zeit, Geduld und einer guten Begleitung probieren Kinder oftmals mehr Speisen und erweitern so nach und nach ihre Geschmackspalette und Vorlieben.

Stand: 11/2024

Quellen

  • Verbraucherzentrale Hamburg (Hrsg. | 2024): Gesunde Ernährung von Anfang an. Stillen, Säuglingsnahrung, Breie und Gläschenkost. 20. Aktualisierte Auflage. Hamburg
  • Deutsche Gesellschaft für Ernährung (2023): DGE-Qualitätsstandard für die Verpflegung in Kitas. 6. Auflage, 2. korrigierter und aktualisierter Nachdruck. Bonn
  • Netzwerk Gesund ins Leben (2023): Was tun, wenn Kleinkinder sehr wählerisch beim Essen sind? Nachgefragt beim Netzwerk Gesund ins Leben; zuletzt geprüft am 16.08.2024
  • Abou-Dakn, M. et al. (2022): Ernährung und Bewegung im Kleinkindalter. Aktualisierte Handlungsempfehlungen des bundesweiten Netzwerks Gesund ins Leben. Monatsschrift Kinderheilkunde, Springer Medizin, https://doi.org/10.1007/s00112-022-01519-3
  • Bundesministerium für Familie; Senioren; Frauen und Jugend (Hrsg. | 2022): Übereinkommen über die Rechte des Kindes. VN-Kinderrechtskonvention im Wortlaut mit Materialien. Berlin
  • Heinis, M. (2022): Essen und Ernährung in der Kindertagespflege. Deutsches Jugendinstitut, München
  • Bundesverband für die Kindertagespflege (Hrsg. | 2021): Auszüge aus Gesetzestexten, die für die Kindertagespflege relevant sind
  • Hesse, I. et al. (2021): Können 4- bis 6-jährige Kinder ihr Essen bewerten? Eine Befragung von Kindern zur Mittagsmahlzeit in Tageseinrichtungen im Großraum Mainz. Ernährungs Umschau, 68(6): 102–8
  • Gutknecht, D. (2021): Zentrale Lebensaktivitäten achtsam begleiten. Essen und Trinken in der Kindertagespflege. Zeitschrift für Tagesmütter und Tagesväter. Ausgabe 4, Seiten 2–5. Klett Kita GmbH, Stuttgart
  • Maier-Nöth, A. (2021): Ein Löffelchen Vielfalt. Jedes Kind kann gesund und genussvoll essen lernen. Zeitschrift für Tagesmütter und Tagesväter. Ausgabe 4, Seiten 6–7. Klett Kita GmbH, Stuttgart
  • Methfessel, B. (2021): Nahrung für Körper und Seele. Über den Zusammenhang von Essen mit Verunsicherung und Sicherheit, Spannung und Entspannung. Zeitschrift für Tagesmütter und Tagesväter. Ausgabe 4, Seiten 8–9. Klett Kita GmbH, Stuttgart 
  • Lehmann, T. (2021): 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 – Guten Appetit, ihr Lieben! Partizipation beim Essen. Zeitschrift für Tagesmütter und Tagesväter. Ausgabe 4, Seiten 10-11. Klett Kita GmbH, Stuttgart 
  • Bosche, H. und von Atens-Kahlenberg, W. (2020): Bremer Checkliste: Für ausgewogene Mittagessen in Kindertagesstätten; zuletzt geprüft am 16.08.2024
  • Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Landesverband Sachsen; Informations- und Koordinierungsstelle Kindertagespflege in Sachsen (Hrsg. | 2019): Genusszeit Essen und Trinken. Gesunde Ernährung von Kindern unter drei Jahren in der Kindertagespflege. Ein praktisches Arbeitsbuch. Zwickau
  • Gutknecht, D. und Höhn, K. (2017): Essen in der Kinderkrippe. Achtsame und konkrete Gestaltungsmöglichkeiten. Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau
  • Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz und aid infodienst (Hrsg. | 2017): Esspedition Kita. Ernährungsbildung in der Praxis. 8. völlig überarbeitete Auflage. Stuttgart/ Bonn
  • Nentwig-Gesemann, I. et al. (2017): Kita-Qualität aus Kindersicht. Eine Studie des DESI-Instituts im Auftrag der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Deutsche Kinder- und Jugendstiftung & Institut für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration (Hrsg.), Berlin. www.dkjs.de/quaki
  • Methfessel, B. et al. (2016): Essen und Ernährungsbildung in der Kita. Entwicklung – Versorgung – Bildung. Kohlhammer, Stuttgart
  • Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (Hrsg. | 2016): Mit Kindern essen. Gemeinsam genießen in der Familienküche.1. Auflage. Düsseldorf
  • Bundesverband für Kindertagespflege: FAQs Mahlzeitengestaltung in der Kindertagespflege; zuletzt geprüft am 16.08.2024